Offener Brief des Netzwerks dott – dortmunder tanz- und theaterszene
Sehr geehrter Herr Stüdemann, sehr geehrte Damen und Herren des Ausschuss für Kultur, Sport und Freizeit, sehr geehrte Frau Spengler und Frau Bracke,
nachdem es schon einen offenen Brief von Sabine Brandi, Günter Rückert und Adolf Winkelmann zu den neusten Entwicklungen am Theater Fletch Bizzel gibt, wenden auch wir uns als Vertreter:innen der Freien Darstellenden Künste in Dortmund an Sie. Vieles von dem, das auch uns auf dem Herzen liegt, wurde in dem genannten Brief schon erwähnt. Aus unserer Sicht wurden die richtigen Fragen gestellt, weshalb wir diesem Brief ausnahmslos zustimmen. Und trotzdem sehen wir Bedarf für die Erwähnung weiterer Aspekte, die originär die Freie Darstellende Szene und generelle strukturelle Fragen betreffen.
Dortmund hat sich seit den 1980er Jahren ein Netz an Zentren aufgebaut, die dank der finanziellen Aufstockung in den letzten drei Jahren, auf stabilen Beinen stehen. Die Politik und die Stadtverwaltung haben damit ihre Wertschätzung für die Freie Szene und die kulturinteressierten Einwohner:innen ausgesprochen. Auch freie Künstler:innen in Dortmund haben dadurch eine Wertschätzung erfahren, die gemessen an der Situation in anderen Städten nicht selbstverständlich ist. Darüber freuen wir uns. Gleichzeitig lässt sich deutschlandweit eine beunruhigende Entwicklung erkennen; die in den 1980er und 1990er Jahren durch viel ehrenamtliches Engagement gegründeten freien Kulturinstitutionen erleben einen Umbruch: Die Gründer:innengeneration kommt ins Rentenalter. In vielen Fällen finden Wechsel statt, durch die neue Energie, zeitgemäße künstlerische Programme und Leitungskonzepte eingebracht werden. Oft genug fällt es aber den Gründer:innen auch schwer ihre „Babys“ loszulassen und der Übergang gestaltet sich eher holprig. Das Theater Fletch Bizzel ist nur das neueste Beispiel von freien Institutionen in vielen Städten, in denen ein Übergang zu einer neuen Leitung den Fortbestand des ganzen Hauses gefährdet und damit auch die umgebende Szene in der Stadt destabilisiert.
All dies führen wir auf, weil wir uns als Freie Darstellende Szene große Sorgen um unsere Bühnen machen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Das Theater im Depot ist seit anderthalb Jahren ohne künstlerische Leitung, und im Fletch Bizzel wurde durch die Entlassung von Cindy Jänicke und Till Beckmann ein bis dahin engagierter und vielversprechender Neuanfang undurchsichtig und jäh abgebrochen. Aktuell stehen wir als Freie Darstellende Szene quasi ohne Theater da, was nicht der Pandemie zugesprochen werden kann. Die aktuellen Vorgänge offenbaren – wie zuvor in anderen Städten – grundlegende strukturelle Herausforderungen bei Leitungswechseln an freien Häusern, die über persönliche Konflikte hinausgehen. Gleichzeitig machen uns die aktuellen Vorgänge bewusst, welchen Unwägbarkeiten Akteur:innen der Freien Darstellende Szene Dortmunds damit ausgesetzt sind, die auf diese Häuser als Arbeitsorte angewiesen sind.
Insofern wollen auch wir an Sie Fragen mit dem Schwerpunkt auf die Vorgänge im Fletch Bizzel, aber auch darüber hinaus richten:
- Entspricht es den Förderrichtlinien, dass ein Theater, das jährlich mit 320.000 Euro von der Stadt gefördert wird und eine der wichtigsten freien Spielstätten in Dortmund ist, einen jeweils nur einjährigen Mietvertrag besitzen darf? Ist diese Unsicherheit im Interesse der Politik und der Stadt? Es ist auf jeden Fall nicht im Sinne der Freien Szene, wenn ein Vermieter, der bekanntermaßen seit langem in das zwischenmenschliche und ästhetische Gefüge des Theaters eingreift, jährlich mit der Kündigung drohen kann. Allein die Tatsache, dass das Theater dadurch erpressbar wird – wie von Horst Hanke-Lindemann im WDR5 Scala Beitrag vom 4. Juni 2021 berichtet – ist ein Eingriff in die Freiheit der Kunst und ist sicherlich nicht im Interesse der Stadt als Förderin. Wir als Dortmunder Tanz- und Theaterszene sind alarmiert, dass eine für die Szene so wichtige Ankereinrichtung auf einem derart unsteten Fundament ruht.
- Geben die bisher eher undurchsichtigen Vorgänge innerhalb des Theaters Fletch Bizzel, die zur fristlosen Kündigung des neuen Leitungsteams führten, nicht auch Anlass zu der Frage, ob Entscheidungs- und Leitungsstrukturen in öffentlich geförderten freien Häusern nicht dringend reformbedürftig sind und in Zukunft transparent und öffentlich ausgeschrieben werden sollten?
- Wie lässt sich für die Zukunft gewährleisten, dass institutionell geförderte freie Einrichtungen sich für die professionell arbeitenden Akteur:innen der Stadt als Spiel- und Produktionsorte öffnen und nicht im Sinne eines Privattheaters agieren, ohne die freie darstellende Szene der Stadt miteinzubeziehen? Wir sehen diese Öffnung als notwendigen kulturpolitischen Auftrag an die Häuser.
Wir würden uns sehr freuen, von Ihnen hierzu Antworten zu erhalten und sind ebenso daran interessiert mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Rodatz, Nilüfer Kemper und Angelika Hoffmann
in Vertretung für dott – dortmunder tanz- und theaterszene